Eine ganz persönliche Anmerkung
Die Unsichtbaren Landwirtinnen
Vor zwei Jahren erschien „Unsichtbare Frauen“ von Caroline Criado-Perez1. Das Buch beschreibt die Folgen der Abwesenheit weiblichen Erlebens bei der Erhebung wissenschaftlicher Daten. Diese kontinuierliche und systematische Verzerrung wirkt sich – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – fundamental auf das Leben von Frauen aus. Das Buch zwang mich über ein Thema nachzudenken, welches mir in der Gründungsphase meines Betriebes beträchtlich zu schaffen machte. Zwar liebe ich meinen Beruf. Doch vermisse ich gleichzeitig mehr aufrichtige Geschlechtergerechtigkeit:
In Deutschland sind 35 % der Frauen zwischen 25 und 54 selbstständig tätig2. Doch seit Jahren stagniert der der Anteil an weiblichen Unternehmensgründungen um die 15 %3. Im Bundesschnitt sind über alles Berufssparten 46,5 % der Beschäftigten weiblich – in der Landwirtschaft sind es immerhin 40 % (2018) mit den überwiegenden Tätigkeitsschwerpunkten in der Tierproduktion und der Buchführung 4. Allerding sind lediglich 11% der Betriebsleiter weiblich4 und somit in Führungsposten deutlich unterrepräsentiert. Eine weitere eklatante Auffälligkeit: Ein sehr hoher Anteil von Frauen – 40 % um genau zu sein – befinden sich überhaupt gar nicht in einem vertraglichen Arbeitsverhältnis und sind nur mangelhaft sozial abgesichert4.
Auch in meinem persönlichen Erleben ist das berufliche Umfeld männlich dominiert. Geschlechterrollenbilder sind mehr oder weniger stark vorherrschend – wenn auch in meiner Wahlheimat Vorpommern eher weniger als mehr. In agrarpolitischen Prozessen sind Frauen merklich unterrepräsentiert. Doch wo sollen gut ausgebildete, beteiligungswilligen Frauen herkommen? Meines Erachtens bewegt sich diese Frage innerhalb von drei Spannungsfeldern: Ausbildung, Besitzverhältnisse und Absicherung.
Betrachtet man den weiblichen Anteil der landwirtschaftlichen Auszubildenden, liegt dieser bei gerade einmal 17 %2. An der Hochschule sieht es mit einem Frauenanteil von 48 % deutlich ausgewogener aus2. Zudem verfügen fast 30 % der Existenzgründer über einen Hochschulabschluss3. Das wären daher doch eigentlich passable Voraussetzungen – oder etwa nicht? Was verhindert im Anschluss die weitere berufliche Teilhabe von Landwirtinnen?
Einen Hinweis auf die Beantwortung dieser Frage findet man, wann man sich die Phase der Gründung oder der Hofübergabe ansieht. Diese fällt typischerweise mit dem Abschluss der Ausbildung oder dem Studium, einigen Jahren gesammelter Berufserfahrung und der Phase der Familiengründung zusammen. Allerdings stellt genau diese Phase zwischen 30. und 40. Lebensjahr gerade für Frauen (leider noch immer) eine entscheidende Doppelbelastung dar3. In eine solche Lebenslage wagen sich Viele aus guten Gründen nicht progressiv hinein. Mehr politische Unterstützung wäre zu diesem Zeitpunkt absolut angemessen. Da sehe ich persönlich unsere Berufsverbände ebenso in der Pflicht!
Neben den eingeschränkteren Voraussetzungen für von Frauen nach einer Ausbildung verhindern auch Eigentumsverhältnisse und fehlende soziale Absicherung echte Geschlechtergerechtigkeit. Das sind zusammen genommen folgenschwere Punkte, wenn man bedenkt in welch hohem Anteil die EU Agrarfördergelder auszahlt (ca. 35 % des Gesamthaushaltes, v.a. in der 2. Säule) ohne Genderaspekte konstruktiv zu berücksichtigen.
Kernproblem scheint jedoch gleichfalls das Fehlen von Daten zur genauen Analyse von weiblichen Lebensumfeldern zu sein. Mich hat es bei meiner Recherche überrascht, wie wenig Datenmaterial im Hinblick auf diese Fragestellung im deutschsprachigen Raum zu finden ist2. Frauen treten in den Bereichen Agrotourismus und Direktvermarktung zwar mittlerweile stärker in die Öffentlichkeit5. Allerdings kann ich den in diesem Zusammenhang vom Preis (2021) genannten Aspekt aus eigener Erfahrung bestätigen: Frauen achten ausgesprochen darauf, dass sich ihre neuen Rollen in den tradierten sozialen Rahmen einfügen5.
Ein weiterer Aspekt der mich bei meiner Recherche ebenso überrascht, wie schockiert hat: Die Nachteile bei der sozialen Absicherung werden von den betroffenen Frauen meist nicht als gefährdet wahrgenommen5. In der Schweiz läuft aktuelle eine großangelegte umfassende Kampagne mit dem Ziel auf dieses Problem öffentlichkeitswirksam hinzuweisen und die Lage nachhaltig zu verbessern6.
Diesen Punkt bestätigten auch erste Ergebnisse des in Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft durchgeführte Forschungsprojekt „Die Lebenssituation von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben in ländlichen Regionen Deutschlands – eine sozioökonomische Analyse (2022)7. Es scheint also doch ein zunehmendes Interesse dafür zu geben, wie die Lebensverhältnisse von Frauen in der Landwirtschaft aussehen. Denn: Die Unkenntnis der Situation und eine ungesicherte Datengrundlage erschweren eine nachfolgende (Problem-) Analyse und die Formulierung konstruktiver Ansätze und Hilfestellungen.
Im Hintergrund dieses Kontextes, möchte ich an dieser Stelle meine ganz persönliche Motivation zur Sprache bringen, die mich überhaupt erst dazu gebracht hat diesen Beitrag zu verfassen. Es geht um das Stichwort soziale Absicherung von Landwirtinnen während der Phase der Gründung oder der Hofübergabe: Mutterschutz und Elterngeld.
Kurz vor der Geburt meines ersten Kindes einen landwirtschaftlichen Nebenerwerb zu gründen bescherte mir zahlreiche Schockmomente. Zu dieser Zeit befand ich mich gleichzeitig noch in einem Anstellungsverhältnis beim Bauernverband als Projektleiterin. Nichts desto trotz war als Grundlage für die Berechnung der Höhe des mir theoretisch zustehenden Elterngeldes (=Bemessungszeitraum) allein das Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit aus Land- und Forstwirtschaft im vorangegangenen Wirtschaftsjahr relevant8. Die Gehaltszahlungen aus meinem Angestelltenverhältnis während der 12 Monate vor der Geburt des Kindes blieben vollständig unberücksichtigt8. Da der Betrieb in dem Jahr vor der Geburt noch nicht existierte, gab es logischerweise auch kein Einkommen, um Elterngeld auszuzahlen. Ich erhielt somit gerade einmal den Mindestsatz von 150 €. Ein Umstand, den auch das beratende Steuerbüro nicht vorhergesehen hatte, da es diese Fallgrundlage noch nie vorher gab. Und das obwohl eine Spezialisierung auf landwirtschaftliche Kunden vorlag. Doch ich bin weiterhin überzeugt nicht die einzige Landwirtin zu sein, die in ihrer Gründungsphase Kinder bekommt. Es gibt dort draußen sicher noch mehr Mitstreiterinnen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Ihnen ist dieser Hinweis gewidmet!
Nun könnte man schlussfolgern: Gut, dann verzichte ich eben auf mein landwirtschaftliches Einkommen, pausiere und mache nach dem Elternjahr dort weiter wo ich angefangen habe. Doch eine solche Entscheidung als landwirtschaftliche Einzelunternehmerin zu treffen ist in einem Sektor, wie den der Landwirtschaft kaum möglich.
In einer GbR oder GmbH kann dieser Umstand möglicherweise praktikabler umgesetzt werden; doch das entscheidende Kernproblem bleibt: Die Felder müssen – trotz Neugeborenem – bestellt und die Tiere versorgt werden.
Nun gut – also eben „Elternteilzeit“ als Modell der Wahl? Grundsätzlich ist eine Erwerbstätigkeit während des Elterngeldbezuges im Rahmen von nicht mehr als durchschnittlich 30 Wochenstunden erlaubt8. Davon machte ich ab dem 6. Lebensmonat meiner Tochter Gebrauch. Doch auch in diesem Fall galt: Alles, was währen der Erwerbstätigkeit in Teilzeit verdient wird, wird natürlich auf das Elterngeld angerechnet8. In einer GbR scheint es Möglichkeiten zu geben das Einkommen zu verringern: Gesellschafter können beispielsweise während des Bezugs von Elterngeld vereinbaren, dass der Gewinnanteil der werdenden Mutter (oder des werdenden Vaters) für die betroffenen Wirtschaftsjahre ermäßigt wird. In meinem Fall war dies natürlich nicht möglich, da ich eine einzelne Landwirtin bin. Zudem betrug mein Einkommen im Wirtschaftsjahr meiner Gründung Null, sodass mir selbstverständlich jeder verdiente Cent als Einkommen während der Elternzeit angerechnet wurde. Eine nachträgliche Kürzung bzw. Rückzahlung verhinderte lediglich der Umstand, dass ich nur den Mindestsatz erhalten hatte.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich mir – nach all dem Papierkrieg mit der Behörde – bei der Geburt meines zweiten Kindes, nicht mehr die Mühe gemacht habe einen Elterngeldantrag zu stellen. Stattdessen habe ich die Flucht nach vorn angetreten und versucht so rasch wie möglich den Betrieb zu einem Haupterwerbsbetrieb mit entsprechendem Einkommen und dem nötigen finanzielle Rückhalt auszubauen.
Wenn man sich gesellschaftlich auf den Konsens einigen kann, dass Frauen in Selbstständigkeit und in Führungspositionen außerhalb eines klassischen Angestelltenverhältnisses in vielerlei Hinsicht eine sinnvolle Sache sind – insbesondere in der Landwirtschaft – gibt es definitv Luft nach oben. Der oben genannte Umstand an fehlender Unterstützung wäre eine geeignete Stellschraube. Denn woher sollen die Frauen kommen, die agrarpolitisch und gesellschaftlich einwirken könnten, wenn sie sich aufgrund solcher Schwierigkeiten nicht aus der Deckung wagen?
Die körperlichen und mentalen Herausforderungen waren während der Zeit der Gründung von Betrieb und Familie enorm. Gleichzeitig sah ich mich ab der Geburt meiner Tochter mit unzähligen Benachteiligungen (Behörden, Banken, Arbeitgeber, etc.) konfrontiert, die ich niemals für möglich gehalten habe. Mein Mann erfuhr mit der Geburt unserer Kinder zu keinem Zeitpunkt vergleichbare Ungerechtigkeiten. Institutionell gäbe es deutlich mehr Spielraum Abhilfe zu schaffen. Doch der Spielraum bleibt in meinen Augen zu häufig ungenutzt oder wird erschreckenderweise in Einzelfällen sogar ausgenutzt. Es wäre dringend notwendig der Lebensrealität von Frauen in meinem Beruf mehr Beachtung und Respekt zu zollen!
Daher geht abschließend ein Aufruf an alle Frauen im Agrarsektor – und vor allem an diejenigen die direkt in der Produktion und der Leitung von Betrieben tätig sind: Bleibt nicht unsichtbar! Wagt euch aus der Deckung! Unser Handeln hat mehr Strahlkraft als wir es oft für möglich halten. Unsere Sicht auf die Dinge gestaltet nicht nur unsere eigene Welt, sondern auch die Welt unserer Töchter, unserer Mitarbeiterinnen, Kolleginnen oder Vorgesetzten. Macht euch bemerkbar! Lasst euch nicht alles gefallen und fordert mutig den Respekt ein, den ihr euch jeden Tag hart verdient!
Quellen:
1 Caroline Criado-Perez: Unsichtbare Frauen, Deutsche Erstausgabe im btb Verlag, ISBN: 9783442718870, Originaltitel: Invisible Women. Exposing data in a world designed for men
2 Top agrar online: Fakten zur Rolle der Frauen in der Landwirtschaft vom 28.01.2021 von Alfons Deter (https://www.topagrar.com/landleben/land-und-leute/fakten-zur-rolle-der-frauen-in-der-landwirtschaft-12463902.html)
3 Female Founders Monitor (FFM) 2020: Herausgeber und Projektmanagement Bundesverband Deutsche Startups e.V. Autoren Dr. Alexander Hirschfeld Jannis Gilde Nina Wöss, ISBN 978-3-9819968-8-3
4 Bundesinformationszentrum Landwirtschaft, Stichwortsuche: Frauen, Landwirtschaft, Letzte Aktualisierung: 23. Juni 2021
5 Preis, Astrid (2021) Geschlechterverhältnisse in der Ostdeutschen Landwirtschaft im Hinblick auf die Relevanz des Agrarpolitischen Rahmens, Masterarbeit, Humboldt Universität zu Berlin
7 „Die Lebenssituation von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben in ländlichen Regionen Deutschlands – eine sozioökonomische Analyse“, Bundesweite Umfrage zur Lebens- und Arbeitssituation von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben; “, ausgeführt vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft und dem Lehrstuhl für Soziologie Ländlicher Räume der Georg-August-Universität Göttingen bis zum Frühjahr 2022.
https://www.bmel.de/DE/themen/laendliche-regionen/ehrenamt/landfrauen-studie.html
8 Website des Bauernverband Schwäbisch Hall – Hohenlohe – Rems e.V.: Rundmail vom 10.07.2017: Elterngeld für Haupt- und Nebenerwerbslandwirte – Gesellschafter in GbR´s